Bekenntnis


 

Vor Kurzem ist mir klargeworden, dass ich mein Berufsleben eigentlich der Familienforschung hätte widmen sollen. Und zwar in einer ernsthaft wissenschaftlichen Weise, nicht nur als Freizeitbeschäftigung.

Mit dem, was ich auf diesem Gebiet seit wenigen Jahren tue, bewege ich mich in einem Umfeld, in dem sich viele Hobby-Ahnen- und Familienforscher tummeln, die an ihre Arbeit ganz unterschiedliche Anforderungen stellen. Für die Meisten ist es eine Möglichkeit, Langeweile aus ihrem Rentnerdasein fernzuhalten.

Bei mir geht es aber darüber hinaus.

Eigentlich hätte ich damals nach dem Abitur schon eine klare Vorstellung davon haben sollen, was ich mit meinem Leben in beruflicher Hinsicht anfangen will. Ich hätte dann ein klares Ziel vor Augen gehabt und mir überlegt, auf welchem Weg ich es am effektivsten erreichen kann. Ich hätte mir ein entsprechendes Studium zusammengestellt und mir dann ein berufliches Umfeld gesucht, in dem ich meinen eigenen Ansprüchen gemäß hätte wissenschaftlich arbeiten können. Meine Ergebnisse würden bestimmten Qualitätsstandards genügen, sie würden von Fachkollegen zur Kenntnis und ernst genommen. Auch nach außen hin könnte ich mit einer gewissen anerkannten Autorität meine durch Forschung gebildete Meinung vertreten.

Es ist aber ganz anders gekommen.

Meine Gymnasialzeit habe ich in Bad Kreuznach verbracht. Bei der Abiturprüfung hatte ich so gut abgeschnitten, dass mir die mündliche Prüfung erlassen wurde.

Ich hatte damals allerdings keinerlei Vorstellung, welchen Berufsweg ich einschlagen wollte, und das sollte auch noch lange so bleiben.

Mir blieb nichts anderes übrig, als eine klare Entscheidung möglichst lange aufzuschieben.

Die erste Möglichkeit war der Wehrdienst. Ich meldete mich freiwillig zum Grundwehrdienst, den ich vom 1.10.1969 bis zum 31.3.1971 absolvierte.

Die nächste Möglichkeit, dem Berufsleben auszuweichen, bestand darin, erst einmal zu studieren. Mehr aus Verlegenheit als aus Interesse entschied ich mich für die Biologie. 1977 bestand ich die Diplom-Prüfung.

Kurz zuvor war etwas Entscheidendes geschehen: 1976 erwachte in mir ein immer stärker werdendes Interesse an der Ahnenforschung. Schon ein, zwei Jahre später verschob sich der Schwerpunkt ganz auf die Familienforschung. Ich erforschte immer gründlicher das weitere verwandtschaftliche Umfeld meiner Vorfahren, den „Booser Stamm“, wie ich diese Familiengruppe schließlich nannte.

1977, nach dem Diplom, befand ich mich nun wiederum in einer ähnlichen Situation wie schon zweimal zuvor. Wie konnte ich eine berufliche Entscheidung, den Übertritt ins Berufsleben, hinauszögern?

Ich entschloss mich also zur Promotion. Auf diese Weise konnte ich noch ein paar Jahre länger an der Universität bleiben und würde genügend Zeit haben, meine Forschung auf genealogischem Gebiet voranzubringen.

Auf das, was ich an biologischer Forschung in diesen Jahren zuwege brachte, bin ich nicht stolz. Es bedeutete mir im Grunde nichts und ist auch nicht der Rede wert.

Diese offizielle Tätigkeit nutzte ich, um dahinter versteckt meine inoffizielle Doktorarbeit zu schreiben, meine Stammfolge des Booser Stammes. Daneben kam bei meiner Arbeit auch noch eine Stammfolge des Langenthaler und des Ottersheimer Stammes heraus. Letzteren konnte ich allerdings nur halbfertig erforschen.

Obwohl mir meine offizielle Doktorarbeit nichts bedeutete, erzielte ich dennoch bei der Prüfung die Note „magna cum laude“, das ist die zweitbeste Benotung.

Nun war schon das Jahr 1982 angebrochen. Die Stammfolgen des Booser und Langenthaler Stammes hatte ich als Bücher im Selbstverlag herausgebracht und familienintern verkauft. Die Welle, die mich bis dahin bei der Genealogie getragen hatte, verebbte allmählich. Die Forschung kam zum Erliegen.

Nun hatte ich keine andere Wahl mehr, als ins Berufsleben einzusteigen. Eine meiner Ausbildung als Biologe entsprechende Tätigkeit aufzunehmen hatte ich allerdings keinerlei Antrieb. Mir als freiberuflicher Genealoge mein Geld zu verdienen kam ebenfalls nicht in Frage.

In dieser Situation bot mir das Arbeitsamt die Möglichkeit, mich zum „Organisations- programmierer“ umschulen zu lassen. Diese Chance nutzte ich jetzt. Mein eigentliches Berufsleben verbrachte ich als Software-Entwickler, also ziemlich weitab von der Biologie.

Ich erlebte mich in diesem Zusammenhang als durchaus talentiert. Dennoch spürte ich immer, dass ich auf diesem Gebiet keine Karriere machen konnte. Ich blieb immer in unterster Position, übernahm nie irgendeine Art Führungsposition. In einem Wirtschaftsbetrieb befindet man sich dadurch in einer schwierigen Position, weil Karrierestreben dort einfach als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Das war weithin eine quälende Zeit. Aber ich musste durchhalten. Ich musste mir eine Altersversorgung aufbauen. Die Arbeit selbst erlebte ich zwar als erfolgreich, aber sie bedeutete mir nichts.

Das Jahr 2000 markiert wieder eine dieser seltsamen Umbruchzeiten. Eines Tages wurde mir klar, dass meine Zeit dort in der Firma abgelaufen war. Es erschien mir richtig zu kündigen. Mein eigentliches Berufsleben ging dadurch im Verlauf dieses Jahres zu Ende.

Im selben Jahr kaufte ich mir meinen ersten eigenen Rechner und ich erhielt den ersten privaten Internet-Zugang. Dadurch eröffneten sich Möglichkeiten für die genealogische Forschung, die früher undenkbar waren. Aber ich vermochte nicht, sie wirklich zu nutzen. Dieser zweite Anlauf erwies sich bald als gescheitert. Ich zog damals daraus den Schluss, dass meine Zeit als Familienforscher vorbei war und sich an die frühere Forschungsperiode nicht anknüpfen ließ.

Nun folgte eine lange leere Zeit des Wartens. Die Familienforschung konnte ich nicht fortsetzen, auch aus finanziellen Gründen. Etwas anderes fiel mir aber auch nicht ein.

Der nächste Wendepunkt kam um die Jahreswende 2019/2020. Ich kaufte mir erneut einen Rechner, erhielt einen Internet-Zugang. Da erwachte dann auch bald mein Forschungseifer von Neuem. Nach einigem Bemühen brachte ich es fertig, eine eigene Website aufzubauen. Sie ist immer noch in Weiterentwicklung begriffen.

Schon in der Zeit um 1980 herum schwebte mit immer vor, dass aus meinen Forschungsergebnissen heraus eine Art Familienverband erwachsen würde. Ich traute mir das allerdings selbst nicht zu. Alle Erfahrung mit mir selbst rät mir davon ab. Ich besitze kein Talent dafür. Stattdessen habe ich mich darauf verlegt, auf jemanden zu warten, der bereit ist, seine oder ihre Talente dafür einzubringen. So ein Familienverband ist nur als Gemeinschaftswerk machbar. Was ich selbst dafür tun kann, tue ich bereits.

 

Alfred Cörper, 23. Januar 2023